Energie aus und für Thüringen

Hochschule Nordhausen: Den Erneuerbaren gehört die Zukunft

Die Energiewende gehört zu den großen Herausforderungen unserer Zeit. Viele Fragen sind noch ungelöst, während die Restlaufzeiten der Atomkraftwerke immer kürzer werden. Landauf, landab diskutieren Experten über intelligente Speicher- und Energieverteilungslösungen, aber auch über die Anteile der jeweiligen regenerativen Energien am künftigen Energiemix. Diese sollen in Thüringen nach dem Willen der Landesregierung in den nächsten Jahren deutlich ausgebaut werden, allen voran die Windenergie.

Prof. Dr.-Ing. Viktor Wesselak ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule Nordhausen.

Wenn man die verschiedenen regenerativen Energieerzeugungen vergleicht - was spricht aus Ihrer Sicht für die Windenergie?

Nun, da gibt es eine Reihe von Gründen. Windkraft wird zusammen mit der Photovoltaik den Kern unseres zukünftigen Energiesystems darstellen. Die beiden Energiearten ergänzen sich ziemlich gut: in Wochen in denen wenig Sonne scheint, haben wir häufig ein erhöhtes Windaufkommen und umgekehrt. Darüber hinaus haben Windenergieanlagen allgemein eine gute Ökobilanz und werden immer günstiger. Man muss auch kein Großkonzern sein, um den Bau einer Windkraftanlage zu stemmen. Kommunale Initiativen oder Genossenschaften ermöglichen es oft den Anrainern eines Windparks selbst unternehmerisch tätig zu werden.

Und dann haben wir natürlich - wie bei allen dezentralen Energien - noch den Faktor Arbeitsplätze. Obwohl wir in Sachen Windenergie noch am Anfang stehen, beschäftigt sie schon heute allein in Thüringen 3000 Menschen!

Schon jetzt hat die Windenergie den größten Anteil an der regenerativen Energieproduktion im Freistaat. Wieviel trägt Wind insgesamt zum Bedarf bei und welches Potential sehen Sie hier in Thüringen?

In Thüringen sind derzeit insgesamt 863 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von über 1.500 MW in Betrieb. Damit können über 650.000 Durchschnittshaushalte mit Strom versorgt werden. Das klingt erst einmal gut, reicht aber in Zukunft bei weitem nicht aus. Deutschland wird vermutlich im Jahr 2050 etwa viermal soviel Windkraft benötigen wie heute installiert ist. Auch Thüringen hat das Potential dafür - da ist noch eine Menge Luft nach oben – im wahrsten Sinne des Wortes.

Warum haben wir denn nicht schon heute mehr Windenergie?

Gute Frage! Die muss man aber an die Politik weiterspielen. Wir rechnen in den nächsten Monaten eher mit einer Stagnation beim Ausbau der Windenergie in Thüringen, da derzeit  zu wenig Vorrangflächen ausgewiesen sind. Die Landesregierung weist mit dem neu verabschiedeten Thüringer Klimaschutzgesetz ein Prozent der Landesfläche als Windvorrangfläche aus. Ich bin gespannt, was passiert – denn im Augenblick haben wir gerade mal ein Drittel davon  für Windenergie genutzt!

Anders als Solarenergie hat Windkraft ein eher schlechtes Image. Woran liegt das?

So schlecht ist das gar nicht. Das wird von Gegnern der Windenergie gerne anders dargestellt. Es stimmt aber nicht. Laut einer aktuellen Forsa-Studie sehen 73% der Thüringer die Nutzung und den Ausbau von Windenergieanlagen im Binnenland als „sehr wichtig“ bzw. „eher wichtig“ an. Befindet sich in Wohnortnähe ein Windrad, sinkt dieser Anteil auf 68%. Mehr als die Hälfte der Befragten, in deren Wohnortnähe sich bisher keine Windräder befinden, haben gegenüber einem Neubau „weniger große“ oder gar „keine Bedenken“. Besonders jüngere Menschen sind da sehr aufgeschlossen. Das sind eigentlich gute Werte, die man aber steigern kann!

Und wie?

Es ist allgemein wichtig, die betroffenen Bürger bei der Planung solcher Anlagen von Anfang an einzubinden. Natürlich gibt es da Diskussionsbedarf und offene Fragen, z.B. wie stark die Geräuschbelästigung in welcher Entfernung ist oder wie groß die Bedrohung für Vögel ist.

Dann lassen Sie uns doch diese Themen der Reihe nach abarbeiten.

Gerne!

Wie ist das mit der Belästigung für die Anwohner?

In Thüringen gibt es ganz klare Richtlinien für die Abstandsregelung. Diese stellt sicher, dass Anwohner im Prinzip nicht belästigt werden. Etwas anders ist es mit der Sicht. Je nach Lage kann es natürlich sein, dass man von seiner Terrasse auf ein Windrad schaut. Das ist – zugegeben – Geschmackssache.

Allerdings erleben wir ja derzeit die Diskussion über den Hambacher Forst, der für die Produktion fossiler Brennstoffe abgeholzt werden soll. Und für Viele  sind die Proteste dort absolut nachvollziehbar. Wir müssen uns als Gesellschaft schon fragen, was uns lieber ist: Sichtbeeinträchtigungen durch Windenergieanlagen oder Bergbaufolgelandschaften eines Braunkohletagebaus. Ganz abgesehen davon, dass wir bei fossilen Energieträgern weiterhin den Klimawandel anheizen.

Wie ist das mit der oft genannten Gefahr für Vögel?

Die Errichtung einer Windenergieanlage stellt einen Eingriff in die Natur dar - gar keine Frage. Und auch hier muss man bei der Wahrheit bleiben und klar sagen: ja, es kommt zu Kollisionen von Vögeln und Windrädern. Verschiedene Gesetze regeln, dass der Artenschutz und im Übrigen auch andere Auswirkungen auf die Natur vor einer Genehmigung intensiv geprüft werden müssen. Bekannte Vogelflugrouten oder Nistplätze bedrohter Arten  sollen  beim Bau von Windenergieanlagen dann gemieden werden.

Generell gilt bei jedem Eingriff, dass entsprechende Ausgleichsmaßnahmen geleistet werden müssen. So hat beispielsweise die Gemeinde Nesse-Apfelstädt als Ausgleich für eine Windenergieanlage aus einem ehemaligen Trinkwasserspeicherbecken eine Überwinterungsstätte für Fledermäuse gemacht.

Hier sehe ich  die Windenergieanlagen-Betreiber in der Pflicht, der betroffenen Bevölkerung das hinreichend zu erklären.

Das ist das Stichwort: wie können sich besorgte, aber auch interessierte Bürger einbringen und informieren?

Wie schon gesagt: die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger bei der Energiewende muss von oberster Priorität sein, sonst gelingt das Vorhaben nicht! Gesetzlich vorgeschrieben ist ja, dass die Bevölkerung vor dem Bau von Windenergieanlagen intensiv informiert werden muss – in Form von Informationsveranstaltungen, Bekanntmachungen, etc.  Aber mir ist auch noch ein anderer Punkt wichtig: es gibt ja immer mehr Bürgerwindparks und Energiegenossenschaften. Darüber lässt sich nicht nur Geld investieren sondern auch mitgestalten.

Informationen gibt es außerdem zum Beispiel bei der Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur (ThEGA), die sogar ein Gütesiegel „Faire Windenergie in Thüringen“ verleiht.

An dem Ausbau der Windkraft führt also kein Weg vorbei?

Ohne Windkraft wird das mit der Energiewende nichts. Und ohne Energiewende wird das mit dem Klimaschutz nichts. Und ohne wirksamen Klimaschutz sind unsere jetzigen Diskussionen Kinderkram.

Herr Prof. Wesselak, vielen Dank für das Gespräch.